Zwischen Realität und Simulation
Künstliche Intelligenz (KI) verändert, wie wir Inhalte erstellen, teilen und erleben. Ein besonders spannendes Feld ist die Generative AI – also KI, die selbstständig neue Inhalte erzeugt: Texte, Bilder, Musik, Videos oder sogar Code.
Doch was genau passiert da – und welche rechtlichen und gesellschaftlichen Fragen entstehen?
Was sind „Synthetic Media“ eigentlich?
Unter synthetic media versteht man Inhalte, die nicht von Menschen, sondern von Algorithmen geschaffen werden. Sie sehen oft täuschend echt aus, sind aber rein künstlich erzeugt. Beispiele sind:
- KI-generierte Porträts von Menschen, die es gar nicht gibt,
 - Stimmen, die täuschend echt nach berühmten Persönlichkeiten klingen,
 - oder Videos, die scheinbar echte Szenen zeigen, obwohl sie nie passiert sind.
 
Neben diesen Medien gibt es auch synthetische Daten – künstlich erzeugte Datensätze, die genutzt werden, um KI-Modelle zu trainieren, ohne reale personenbezogene Daten zu verwenden. Das ist besonders in sensiblen Bereichen wie Medizin oder Recht zunehmend relevant.
Von Science Fiction zur Realität – Philip K. Dicks „Ubik“

Der Science-Fiction-Autor Philip K. Dick zählt zu jenen Autoren, die die Idee künstlicher Wirklichkeiten literarisch erforschten. In seinem Roman Ubik (1969) beschreibt er eine Welt, in der kürzlich Verstorbene in einer telepathischen Simulation weiterleben, während ihre Gehirne in Nährlösungen ruhen.
Mehrere Realitätsebenen überlagern sich – niemand weiß mehr sicher, was „wirklich“ ist. Dicks Werk ist damit eine frühe Auseinandersetzung mit der Frage:
Was bleibt von unserer Realität, wenn Technologie beginnt, Bewusstsein und Wahrnehmung zu imitieren und zu orchestrieren?
Heute, über 50 Jahre später, ist diese Frage aktueller denn je. Generative KI erschafft Welten, die – wie in Ubik – zwischen Simulation und Wirklichkeit verortet sind.
(Dust jacket of the first edition of Ubik by Philip K. Dick).
Das „Gehirn-im-Tank“-Experiment – eine alte Frage, neu gestellt
Das berühmte „Gehirn-im-Tank“-Gedankenexperiment greift dieselbe Idee philosophisch auf.
Es fragt:
Woher wissen wir eigentlich, dass unsere Wahrnehmung echt ist – und nicht nur das Produkt einer Simulation?
Stellen wir uns vor, ein Gehirn wird aus dem Körper entfernt, in einer Nährlösung am Leben gehalten und über Elektroden mit einem Computer verbunden. Der Computer sendet exakt dieselben Signale, die es auch vom Körper erhalten würde – Bilder, Geräusche, Berührungen.
Das Gehirn hätte keine Möglichkeit zu erkennen, dass seine Welt künstlich ist. Alles würde sich real anfühlen.

Dieses Gedankenexperiment – bekannt aus der Philosophie des Geistes – hilft uns, heutige KI-Entwicklungen zu verstehen. Denn synthetische Medien führen uns vor Augen, dass die Grenzen zwischen „echt“ und „künstlich“ zunehmend verschwimmen.
Von Simulation zu Vernetzung – die „Gewebe-Gesellschaft“
Wenn wir über synthetische Wirklichkeiten sprechen, müssen wir auch betrachten, wie unsere digitale Welt organisiert ist. Sie funktioniert wie ein Netzwerk – mit Knoten (Menschen, Geräte, Server) und Verbindungen (Datenströmen).
Doch das eigentliche Leben dieser Systeme spielt sich nicht nur in den Knoten ab, sondern in den Geweben dazwischen. Diese Zwischenräume – Datenflüsse, Schnittstellen, digitale Membranen – sind das, was den Informationsraum lebendig macht.
Der Medientheoretiker Marshall McLuhan sprach schon in den 1960er Jahren von einer „kosmischen Membran“, die sich durch die elektronische Erweiterung der menschlichen Sinne um den Globus legt.
Heute ist diese Metapher Realität:
Soziale Netzwerke, Cloud-Systeme und KI-Plattformen bilden das digitale Gewebe, das unseren Alltag durchzieht – eine „Gewebe-Gesellschaft“, in der Mensch, Maschine und Umwelt untrennbar miteinander verflochten sind.

Reflektiere ich, ob ich eine Katze bin, oder reflektiert die Katze, ob sie ich ist?
Post-symbolische Kommunikation – Sprechen jenseits der Sprache
Der Informatiker und Künstler Jaron Lanier hat dafür den Begriff der post-symbolischen Kommunikation geprägt. Gemeint ist eine Form der Verständigung, die nicht mehr auf abstrakten Symbolen – also Worten oder Zeichen – beruht, sondern auf direkter, erfahrbarer Interaktion.
In virtuellen Welten oder KI-gestützten Interfaces kommunizieren Menschen nicht nur mit Sprache, sondern mit Gesten, Simulationen und immersiven Erlebnissen.
Wenn ein Künstler mit einer KI gemeinsam ein Bild „erschafft“, dann findet genau das statt: eine Form des Dialogs, die weder ganz technisch noch ganz menschlich ist – eine neue Sprache jenseits der Symbole.
Diese Idee bildet das theoretische Fundament dafür, wie wir synthetic media verstehen können: nicht nur als technologische Produkte, sondern als neue Kommunikationsformen, in denen Bedeutung performativ entsteht – im Prozess, nicht im fertigen Werk.
Kunst, KI und das neue Experimentierfeld
In der Kunst spielt generative KI bereits eine zentrale Rolle. Künstlerinnen und Künstler nutzen sie, um mit neuen Formen, Bewegungen und Bildern zu experimentieren.
KI-Systeme werden dabei fast zu „intelligenten Sonden“ – sie erweitern die Grenzen unserer Vorstellungskraft. Was früher reines Gedankenexperiment war („Was wäre, wenn eine Maschine träumen könnte?“), wird heute in Studios und Ateliers praktisch ausprobiert.
Rechtliche Fragen: Wem gehört das Künstliche?
Mit der kreativen Kraft der Maschinen kommen neue rechtliche Herausforderungen:
- Urheberrecht: Wer ist der Schöpfer eines KI-generierten Werkes – der Programmierer, der Nutzer oder die Maschine selbst?
 - Persönlichkeitsrechte: Was passiert, wenn eine KI die Stimme oder das Gesicht eines Menschen nachahmt?
 - Datenschutz: Dürfen KI-Systeme mit echten Daten trainiert werden, wenn sie daraus synthetische Inhalte erschaffen?
 
Diese Fragen sind noch längst nicht abschließend geklärt. In der Praxis bedeutet das: Unternehmen, Kreative und Juristen müssen gemeinsam neue Rahmenbedingungen entwickeln – damit Innovation möglich bleibt, aber Rechte geschützt werden.
Fazit: Zwischen Realität und Simulation
Synthetic Media zeigen, wie fließend die Grenzen zwischen Realität und Virtualität geworden sind. Sie eröffnen neue Chancen für Kreativität, Forschung und Kommunikation – stellen uns aber auch vor ethische und rechtliche Herausforderungen.
Das „Gehirn-im-Tank“-Experiment, Dicks Ubik und Laniers Idee der post-symbolischen Kommunikation führen alle zur gleichen Einsicht:
Unsere digitalen Medienwelten sind nicht nur Nachbildungen der Wirklichkeit, sondern Werkzeuge, um neue Formen von Realität zu erzeugen.Wer heute mit KI arbeitet, bewegt sich in einem Spannungsfeld aus Innovation, Verantwortung und Wahrnehmung. Das Bewusstsein dafür ist der erste Schritt, um mit dieser neuen Form der Medienproduktion verantwortungsvoll umzugehen.
- Beitragsbild und Katzenmaske: Jörg Vogeltanz 2025.
 - Dust jacket of the first edition of Ubik by Philip K. Dick, public domain.
 - Gehirn-im-Tank-Grafik: ChatGPT
 
