Kreativität: Der Drache mit den Münzen

Gefragt ist ein Denken in Mustern, Beziehungen und Wechselwirkungen.

Kreativität ist zu sehen als Denkweise, die es ermöglicht, neuartige und angemessene Lösungen für komplexe Probleme zu entwickeln.

Arthur Koestler beschreibt Kreativität als ein „System des Denkens“ – oder genauer gesagt, als ein System des Verhaltens. Jede Form geordneter Fertigkeit basiere demnach auf einem Code fester Spielregeln, der unbewusst die Art des Denkens und Handelns steuere. Dieses systemische Denken funktioniere wie ein Spiel, dessen Regeln selten bewusst seien, jedoch durch anpassungsfähige Strategien interpretiert und neu ausgelegt werden könnten (Koestler, Der göttliche Funke, Der schöpferische Akt in Kunst und Wissenschaft, 1966, 28).

Diesen Gedanken erläutert Koestler am Beispiel der Gartenspinne, die ihr Netz webt.

„Die Matrix, die Fertigkeit, Netze zu weben ist nicht starr: sie kann vielmehr den Umweltbedingungen angepasst werden; aber die Regeln des Code müssen immer gewahrt bleiben und begrenzen die Anpassungsfähigkeit. Die Auswahl geeigneter Punkte ist eine Frage der Strategie und hängt von der Umgebung ab; die Form des fertigen Netzes hingegen wir immer polygonal sein, der Spielregel gemäß.“

Die Ausübung einer Fertigkeit unterliege einer doppelten Kontrolle:

  • durch bestehende Spielregeln, die angeboren oder durch Lernen erworben sein können,
  • durch anpassungsfähige Strategie, die sich nach Hinweisen der Umwelt richten.

Kreatives Handeln entstehe dann, wenn diese starren Spielregeln flexibel neu kombiniert oder unerwartet erweitert werden, ohne sie vollständig zu verlassen. Es ist die Fähigkeit, verborgene Möglichkeiten sichtbar zu machen.

Der bekannt gewordene „Zug 37“ des KI-Systems AlphaGo von DeepMind gilt als Beispiel für „maschinelle Kreativität“. In einem Go-Spiel gegen den Weltmeister Lee Sedol wählte die KI einen Spielzug, der so ungewöhnlich war, dass er von Experten zunächst als Fehler interpretiert wurde. Tatsächlich handelte es sich scheinbar um einen kreativen und strategischen Zug, der die Dynamik des Spiels veränderte und AlphaGo letztlich den Sieg brachte. AlphaGo gegen Lee Sedol – Wikipedia

Künstliche Intelligenz sei – unter bestimmten Voraussetzungen – zu kreativem „Verhalten“ fähig (das nicht nur auf bereits bekannten Mustern basiere, sondern neue, innovative Strategien hervorbringe). Zug 37 steht heute sinnbildlich für diese Art kreativer Regelverlagerung: Die KI agierte innerhalb der Spielregeln des Go – doch sie interpretierte diese in einer Weise, die für den menschlichen Gegner neu und überraschend war und letztlich zur Überlegenheit der Maschine führte.

Hier sehen Sie mich in einer Jacke, die der Künstler Jörg Vogeltanz erschaffen hat. Ob der Oktopus den Lichtschalter betätigen wird? 

So also zeigt sich das Wechselspiel von Mensch und Maschine im Feld der Künstlichen Intelligenz. Kreativität bedeutet nicht nur, dass Maschinen schöpferisch im menschlichen Sinne werden. Vielmehr braucht es Menschen, die in der Lage sind, hybride Lösungsräume zu gestalten, Technologien mit gesellschaftlichen Bedürfnissen zu verbinden und neue Wertschöpfungspfade zu erschließen. Diese mit den Grundrechten und ethischen Werten zu vereinbaren, wird die große Herausforderung sein.

In dieser Vorstellungskraft – und diese umfasst auch die Vorstellung enormer Risiken – liegt das transformative Potenzial von KI im 21. Jahrhundert.

Kreativität ist nicht nur ein Mittel zur ästhetischen oder künstlerischen Gestaltung – sie ist eine Form des Denkens, die unseren Erfindungsgeist weckt, neue Lösungen möglich macht und bestehende Denkmuster durchbricht.

Wer dazu in der Lage ist, entwickelt ein Verständnis für komplexe Zusammenhänge – eine Fähigkeit, die in der dynamischen und digitalen Welt zunehmend gefragt sein dürfte und vielleicht ein Schlüssel zur Erschließung weiterer Kompetenzen.

  • Konzeptkompetenz
  • Innovationskompetenz
  • Lösungskompetenz

Abb. Der Drache mit den Münzen, Elisabeth Hödl, 2025.