Future Codes: Remembering Tom
Heute, als ich in den frühen Morgenstunden auf den Schlossberg ging, lag das Licht des Südens über der Stadt. Ein Blatt löste sich von einem Ast, trieb kurz im Wind – und da war Tom. Er war da wie früher.
Tom war ein Weggefährte des Denkens, ein Suchender in den Tiefen der Wissenschaft und der Kreativität. Er war Humangenetiker – als Forscher tätig.
Er trug diese blauen Laborhandschuhe wie ein zweites Paar Hände, sprach von der Drosophila melanogaster – der unscheinbaren Fruchtfliege, seinem Forschungsobjekt – wie von der großen Liebe seines Lebens, und dachte in Codes. Aus genetischen Sequenzen las er Vaterschaften, Erkrankungen, Lebenslinien. Und manchmal sprach er auch vom Grausen vor all dem Mikrobiotischen – dem Leben, das sich unaufhörlich und unsichtbar fortentwickelt, während wir glauben, es kontrollieren zu können. Daher auch das Biohazard-Symbol auf der Haut.
Das erste Mal begegnete ich ihm in meiner Lehrveranstaltung Introduction to IT-Law.
Er saß in der letzten Reihe – aufmerksam, abwartend – und stellte mit ruhiger Stimme eine jener Fragen, die ein ganzes System erschüttern können:
„Ist das Recht überhaupt eine Wissenschaft?“
Da saß jemand (natürlich in der letzten Reihe), der vielleicht provozieren, aber auch die Grundlagen des Denkens prüfen wollte. Seine Frage war kein bloßer Einwand, sondern Ausdruck seiner naturwissenschaftlichen Disziplin. Für ihn ging es um das, was messbar, wiederholbar, falsifizierbar war. Was hatten IT-Recht und Medizin gemeinsam? Darum saß er in meiner Lehrveranstaltung.
Wir begannen eine Auseinandersetzung, die sich zu einer gemeinsamen Denkbewegung entwickelte. Schritt für Schritt betrachteten wir die Disziplinen, das Recht – als System, als Sprache, als Struktur von Normen – und welche eigene Wissenschaftlichkeit darin lag. Aus dieser Begegnung entstand eine kreative Werkstatt. Wir begannen zu fragen, wie die Welt der Zukunft aussehen würde und prüften unterschiedliche Szenarien: Kann man seinen genetischen Code spenden? Also schreiben wir über Open Source Humangenetik mit Blick auf den Datenschutz.

Die Spiegel des Sehens – Peeping Tom
Der britische Film Peeping Tom (1960) von Michael Powell war für Tom mehr als ein Klassiker der Filmgeschichte. Er erzählte von der zerstörerischen Kraft des Blicks – von einem Mann, der Menschen mit seiner Kamera beobachtet, kontrolliert und schließlich vernichtet. Für Tom war das nicht bloß Voyeurismus, sondern ein Gleichnis über Erkenntnis selbst: Wer schaut, verändert das, was er sieht.
Mike Patton griff dieses Motiv Jahrzehnte später musikalisch auf, als er 2006 mit seinem Projekt Peeping Tom eine Klangwelt zwischen Pop, Experiment und Ironie erschuf.

Pattons Musik war für Tom die perfekte Allegorie des hybriden Denkens – zwischen Disziplinen, Genres und Codes. So wie der Film den Blick seziert, zerlegt Patton das Hören – so wie das Träumen die Welt verdreht, zerlegen Bilder die Vorstellung.
Das Mikroskop übertreibt – wie der Künstler:
Tom, zugleich Ritter der Kelche und Mantikor, ein Symbol gefährlicher Intelligenz, Emotion und Intuition.

The NOO Tarot: A Ludodrome of the Noosphere Facet, von Jörg Vogeltanz und Estelle Herzeleyd.
DNA als Porträt – Heather Dewey-Hagborg
In dieser Linie sah Tom auch die Arbeit der Künstlerin Heather Dewey-Hagborg, die mit ihrer Serie Stranger Visions (2012) Kunst und Genetik verband. Sie sammelte DNA-Spuren – Haare, Kaugummis, Zigarettenstummel – aus dem öffentlichen Raum und rekonstruierte daraus mit biotechnologischen Methoden 3D-Gesichter. Sie machte sichtbar, was sonst unsichtbar bleibt: die Macht der Daten über Identität, das Verhältnis zwischen biologischem Code und gesellschaftlicher Zuschreibung.
Tom war fasziniert von dieser Grenzüberschreitung – von der Idee, dass ein genetischer Code sowohl wissenschaftlicher Datensatz als auch ästhetisches Material sein konnte. In diesen „DNA-Masken“ sahen wir, wie nah sich Wissenschaft und Kunst kommen können, wenn beide versuchen, das Unsichtbare zu formen.

Im Jänner 2019 bist du fortgegangen und bald werden es sieben Jahre sein.
Sieben – die Zahl des Aufbruchs und des Wagens.
Du warst ein Tom der Tiefe.
Ein Tom der Träume.
Ein Tom der Widerlegung.
Mir fehlen deine Doppelhelices und dein Blick auf die Welt.  
Beitragsbild: Jörg Vogeltanz.
Foto des robots: ubifacts.
