Homo Ludens Digitalis
Nach dem kulturanthropologischen Homo Ludens-Argument von Huizinga wurzelt alle menschliche Selbsterkenntnis, inklusive der kulturellen Systeme wie Recht, Wissenschaft, Politik und Religion im Spiel.
Dem Menschen wird „der ideale Mensch“ gegenüber gestellt, ein Ideal, von dem der Mensch sich entzweit sieht und das Spiel ermöglicht nach Huizinga die Überbrückung dieser Trennung des Menschen von seinem Ideal. (Huizinga, Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbeck 1987).
Computerspiele bieten dem Spieler die Möglichkeit, seine Identität selbst zu bestimmen und Fähigkeiten zu erarbeiten. In dem Computerspiel SIMS kann der Spieler ein komplettes Leben mit Familie und Arbeit in einem eigenen sozialen Umfeld konzipieren. In einer technisch vernetzten Umgebung tritt der Spieler nun mit anderen Spielern in Verbindung und findet Gleichgesinnt. Der nächste Schritt in einer hochgradig vernetzten Gesellschaft sind Spiele, an denen viele Spieler zugleich im Internet teilnehmen. Besonders eindrucksvoll lässt sich das an den MMORPG (Massively Muliplayer Online Role-Playing Games) zeigen.
Gamification ist eine Gesellschaftsvision, wonach Mechaniken aus Computerspielen genutzt werden, um Menschen zur Teilnahme an gewünschten Handlungen zu motivieren.
Unter Gamification versteht man sohin die Verwendung von Spiel-Applikationen („funware“), die auf konsumentenorientierten Seiten oder im Web ganz allgemein, Menschen dazu animieren soll, Adaptionen in die eigenen Rechensysteme aufzunehmen und einen Beitrag zu leisten, der spielerisch sein soll. Die Techniken reichen von frühen Exemplaren der Gamification auf Systemen mit Gutpunkten, wie bei Facebook oder Foursquare und Gowella.
Jesse Schell, ehemaliger Disney-Imagineer und Professor für Unterhaltungstechnologie an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh hat im Rahmen seiner Präsentation „Design Outside the Box: Beyond Facebook. The Future of Pervasive Gaming bei der Games-Industrie-Konferenz D.I.C.E Summit 2010 in Las Vegas ein Szenario skizziert, in der die Welt ein einziges, gigantisches, quasi pervasives, Game ist. (Walz, Das ganze Leben ist ein Spiel: Wie die Veralltäglichung von Games die Gesellschaft verändert, in Selke/Dittler, Postmediale Wirklichkeit, 206).
Ein System, durch das sich eine ludische Ader zieht und in der die Differenz zwischen Mensch, Medium und Welt aufgelöst ist, das Panludikum des Ubiquitous Computing. So erhalten wir von den Dingen des Alltags auf spielerische Weise symbolische Belohnungen in Form von Achievements oder Rabatten zugewiesen. „Teeth brushing might earn sponsored awards from Crest, for example, and taking the bus might earn awards from a government mass transit program,” erklärt Schell. Die Zahnbürste der Zukunft teilt der Krankenkasse mit, wie lange sich eine Person mit der elektrischen Zahnbürste die Zähne putzt. Ein Nutzer der sich regelmäßig die Zähne putzt, bekommt Bonuspunkte, diese können auf Versicherungsleistungen angerechnet werden.
Von nun an ist es keine Bonuskarte mehr, die uns nach dem Erreichen einer bestimmten Summe zu einem Gewinnvorteil verhilft, sondern das gesamte Verhalten im realen Leben wird spielrelevant. Auf automatisierte Weise wird vermessen, bewertet und mit spielähnlichen Anreizen gearbeitet. Schell führt den Gedanken aus: Das Sammeln von Daten über das Verhalten jedes Einzelnen wüde immer einfacher, da Sensoren immer günstiger werden würden. Außerdem würden dank des „Internet der Dinge“ immer mehr Gegenstände miteinander kommunizieren. In einer solchen Konzeption geht es um die Bemessung von Handlungen, die gespeichert und belohnt werden.

Was also wird die nächste Form sozialer Spiele sein?
HiveMind war das Konzept des Computerspieldesigners Wright, der als Schöpfer der bekannten Computerspiele „Die Sims“ und „SimCity“ gilt. Es handelte sich um eine Sammlung von Online-Anwendungen, die den Alltag und das Leben des Spielenden in ein Computerspiel integrieren sollen. Jedes mit dem Internet verbundene Gerät sollte dabei ein Teil von HiveMind werden. Damit sollte auch die Grenze zwischen fiktiven Ereignissen und realen Erlebnissen durch interaktive Aktivitäten verschwimmen. Bis heute wurde HiveMind nicht realisiert – dennoch, das Prinzip bleibt bestehen.
Dieses Prinzip nennt sich „personal gaming“. Es handelt sich um ein Spiel, das Realleben-Situationen eines Spielers einbezieht. Wright beschreibt nicht genau, wie das Spiel funktioniert, da es noch in der Planungsphase ist, aber es geht nicht darum, dass ein Spieler ein bestimmtes Spiel und dessen Regeln erlernt, sondern dass die Gemeinschaft lernt, wie der Spieler ist und was seine Routinen sind. Es sind die personalen Lebensmuster jedes einzelnen Menschen.
Dies wird durch das Sammeln von Daten möglich. Es können Daten über Freunde sein, über Gewohnheiten oder Lokalisierungsdaten. Was als Eingriff in die Privatsphäre verstanden werden könnte, soll jedoch einen Unterhaltungsfaktor darstellen. Wright ist der Ansicht, dass Menschen, denen man genug spiel-orientierte Unterhaltung bietet, stets bereit sein werden, Informationen mit anderen zu teilen. Wenn der Spielanbieter mehr vom Spieler weiß, kann er diesen auch besser unterhalten. Damit findet der Wandel vom Konsolen-Spiel, über das Social Gaming hin zum HiveMind-Prinzip statt. Wright geht darüber hinaus davon aus, dass Menschen im Kollektiv Probleme leichter lösen.

Die intellektuelle Basis für die Idee stellte im Übrigen eine Geschichte des Science Fiction Autors Bruce Sterling dar, die den Titel „Maneki Neko“ trägt. Es sind japanische Geschenk-Katzen, die man einem Fremden schenkt und dafür bekommt man in Folge vom Leben, was man benötigt. Hier findet sich das Zitat an die Geschenkkulturen, gift-culture, die auch im Zusammenhang mit der Open Source Idee eine Rolle spielen.
Der Begriff HiveMind steht für Schwarmintelligenz oder kollektives Bewusstsein. (Brey, Virtual Reality and Computer Simulation, in Himma/Tavani (Hrsg), The Handbook of Information and Computer Ethics, New Jersey 2008, 361-384.)
Abb.: ubifacts, Wikipedia/gemeinfrei
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