Entzauberung der Welt

Mark Weiser beschrieb in den 1980er-Jahren eine Technikvision die er „Ubiquitous Computing“ (The Computer for the 21st Century) nannte: sämtliche Lebensbereiche würden von Computerleistung durchdrungen sein. Computer würden auf unaufdringliche Weise für die Nutzer unsichtbar, lautlos und allgegenwärtig sein. Die Umgebung würde sich gleichzeitig und wie von selbst an die Bedürfnisse der Nutzer anpassen.

Diese Vision erschien damals bizarr und doch gab es etwas, das real daran war: Sie wurde zur Realität. Wir leben heute in einer Welt, die dieser Vision in vielen Bereichen entspricht. Wir sind in der heutigen Welt tatsächlich von unzähligen Computern umgeben – und viele von diesen Computern sind tatsächlich unsichtbar geworden, lautlos und zugleich allgegenwärtig. Computer sind in sämtliche Gegenstände des Alltags gewandert und zugleich durch das Internet der Dinge miteinander verbunden.

Songdo City

Südkorea errichtete ein Testfelder für Ubiquitous Computing in urbanen Räumen. Songdo City – eines der größten Stadtkonzepte dieser Art ist zugleich eine Planstadt und Teil der Millionenstadt Incheon. Eine Business-Stadt auf einer Fläche von 6 km2. Das Ziel war eine groß angelegte Einführung des „Internet der Dinge“. Songdo heißt wörtlich eigentlich Insel der Pinien, aber die Menschen hier wissen, es soll die Stadt der Zukunft sein, durch und durch smart, die „intelligenteste Stadt der Welt“.

Ein ostasiatisches Utopia. Die Straßenbeleuchtung geht nur an, wenn Menschen auf den Straßen unterwegs sind. Der Abfall wird über ein unterirdisches Rohrsystem entsorgt, sortiert und recycelt. In Songdo soll 30% mehr Energie gespart werden als an anderen Orten. Und Songdo ist vor allem eines: Freihandelszone.

Aus dem philosophischen Programm zu Songdo City „Manchmal ist es nur ein kurzer Blick durch ein Nebelloch, und ich sehe eine kongruente Landschaft, wie ein Lichtschimmer ist der kurze Dialog zweier Passanten, scheinbar nicht mehr als eine flüchtige Begegnung in der Menge, aber es ist dieser Lichtblick des Geistes, und ich fühle meine Zukunft von diesem Augenblick aus, von diesem Moment aus will ich Stück für Stück die perfekte Stadt zusammensetzen. Aus allen Fragmenten meines Lebens will ich sie zusammensetzen und meine Gedanken werden sich selbstverständlich einfügen, und ich werde nicht wissen, wer sie empfangen wird, sie werden sich mit dem Rest der Welt vermischen und mein Leben wird von Augenblick zu Augenblick fließen, bloß von Intervallen unterbrochen, den Signalen der Stadt.“ Abb: Fleetham – CC 4.0 international.

Smarte Skyscraper 

Unterstützung kam von der Regierung Koreas und der Stadt Incheon. Ein neues politisches Klima ermöglichte es, ausländische Investoren zu gewinnen, eine Änderung der Rechtslage erlaubte es von nun an auch Ausländern, Grund und Boden zu erwerben. Ziel war ein Internationales Joint Venture Value durch die Suche nach qualifizierten Entwicklern in der Planung, bei Finanzierung, Markt und Wirtschaft, u.a. durch Beteiligung der US-Gale Company und des Koreanischen Stahlgiganten Posco.

So entstand diese Planstadt unter der Leitung der Architekten Kohn Poderson Fox aus New York (KPF), die über umfassende Erfahrungen und Vorkenntnisse verfügten, insbesondere im asiatischen Raum und durch Projekte in Korea. Die Pläne zeigen ein halbmondförmig bebautes Gelände, das sich in die Landschaft einfügt. Das Architekturbüro hatte sich auf den Hochhausbau spezialisiert und so wurde eine Stadt für 50.000 Einwohner konzipiert. Eine Businessstadt, eine Stadt im Dienste der Ökonomie.

Wie aber erleben die Menschen diese Stadt? Ältere Leute scheinen glücklich damit, denn sie vermittelt Sicherheit und Ruhe, weil jeder Raum ganz und gar überwacht wird. Jüngere Leute sehen das offenbar nicht ganz so, denn die jünge Generation von Koreanern lebt zwar in symbiontischer Beziehung mit dem Mobiltelefon, findet die Stadt zwar grün, aber total tot. Sie wollen eine Zigarette rauchen, sehen aber die Kamera – und Rauchen ist verboten in der Öffentlichkeit. Sie steigen ins Auto fahren durch die leeren Straßen – Kameras sind überall (Quelle).

Max Weber

Es dämmert hier etwas herauf, wovon der Ökonom und Soziologe Max Weber gesprochen hat. In seinem später publizierten Vortrag „Wissenschaft als Beruf“ aus dem Jahr 1917 – also vor genau hundert Jahren:

„Die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung bedeutet also nicht eine zunehmende Kenntnis der Lebensbedingungen, unter denen man steht. Sondern sie bedeutet etwas anderes: das Wissen davon oder den Glaube daran: daß man, wenn man nur   „w o l l t e“,  es jederzeit erfassen  „k ö n n t e“,  daß es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, daß man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch   „B e r e c h n e n   b e h e r r s c h e n“   könne. Das aber bedeutet die Entzauberung der Welt.“

(Vgl. Max Weber, Wissenschaft als Beruf, Reclam, 1995, 19.)

Und so diagnostiziert Weber eine „innere Verwandtschaft“ zwischen jener Lebensführung, die dem rastlosen Streben nach „rein auf Gewinn gerichteten Tätigkeiten“ beruht und der Idee der Berechenbarkeit der Welt.

Kein Freiheitsgewinn –  sondern Reglementierung und Bevormundung – die „Entstehung eines neuen Gebäudes der Hörigkeit“…

Radiohead – Taken from the album ‚OK Computer‘

Das Album erschien am 13. Juni 1997 auf einem Sub-Label der EMI und gilt als Meilenstein der Rock- und Popmusik der 1990er Jahre.

 

 

 

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