Der polnisch-britische Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman hat das Bild einer Moderne entworfen, die sich durch exterritorial und mobil gewordene Machtstrukturen auszeichnet. Es gäbe keine Schaltzentren der Macht mehr, die Strukturen seien flüchtig.
Bauman beschäftigte sich in seinem Werk zunächst mit Fragen der Postmoderne und dann zunehmend mit den Lebensverhältnissen der „liquiden“ oder auch „verflüssigten“ Moderne. Den flüssigen Zustand der Gegenwart zeigte er insbesondere am Phänomen der Macht auf.
Macht bewege sich mit der Geschwindigkeit elektronischer Signale. Sie sei schwer greifbar, exterritorial und physisch unabhängig. Macht rinne förmlich durch Zeit und Raum. Sie kenne keine nationalen Grenzen.
Konsum
Was es mit den liquiden Gesellschaften auf sich hat, zeigt Bauman am Beispiel des Marktes. Das Muster der Beziehungen zwischen Kunde und Produkt werde zum Modell für die Beziehungen aller Menschen. Die Prämissen seien denkbar simpel:
- Ein Konsumprodukt soll Zufriedenheit verschaffen.
- Es gibt keinen Grund, einem Produkt gegenüber loyal zu sein, wenn es seinen Zweck nicht mehr erfüllt und vielversprechende Alternativen vorhanden sind.
Da die meisten Menschen dieses Muster akzeptieren würden, sei es nach Bauman inzwischen zum Leitmotiv aller sozialen Handlungen und Beziehungengen geworden.

Der Markt sei ein unerbittlicher Richter und in der liquiden Gesellschaft der Konsumenten würden Schwärme immer mehr hierarchische Gebilde ersetzen. Schwärme sind nach Bauman keine Teams, sie sind vielmehr zufällige Gemeinschaften und existieren nur durch mechanische Solidarität. Schwärme sind fragile Gebilde, die jederzeit wieder zerfallen können. Damit gehe nach Bauman im liquiden Markt und in der liquiden Gesellschaft zugleich die Planbarkeit verloren.
Digitale Kommunikation
Mit den Möglichkeiten der digitalen Kommunikation habe sich die Herrschaft exterritorialisiert. Anstatt eines zentralen Ortes innerhalb der Gesellschaft, von dem aus wenige Individuen eine Mehrheit überwachen und bestrafen, um Letztere entsprechend einer ideal vorgestellten Ordnung zu formen, orientiere sich die Mehrheit der Individuen an ausgewählten Idolen um ihre Identität nach diesen zu formen.
Bauman bezeichnet die Struktur des sozialen Raums in Weiterentwicklung des Begriffs des Panoptikums (wie er bei Foucault Verwendung findet) als Syn-optikum.
So dezentralisiere und ent-hierarchisiere sich die soziale Ordnung, der soziale Raum verflüchtige sich in netzwerkartige Strukturen. Statt langfristiger Fixierungen auf soziale Positionen und Determinierungen von Identitäten sei der „synoptische“ Raum durch kurzfristige Verbindungen gekennzeichnet, die den Individuen einen höheren Grad an sozialer Mobilität gewähren würden.
Die zentrale Sozialfigur sei der Jäger. Er habe kein utopistisches Ziel, kein Interesse an einer ausbalancierten, perfektionierten oder an einer entworfenen Ordnung. Lediglich der Sicherung der eigenen Position auf Kosten der Anderen gehe der Jäger nach. Wie Nomaden durch die Welt ziehend, keine Verbindlichkeiten eingehend, verwandle der Jäger alle gesellschaftspolitischen Interessen in individuelle Strategien der Profitmaximierung. Er sei ein Einzelgänger, der seinen kurzfristigen, egoistischen Interessen verantwortungslos gegenüber der Allgemeinheit nachgehe.

Kritik
Kritik an Baumans Pessimismus bezüglich des Ausgeliefertseins des Individuums findet sich etwa bei Baum/Kron (Vgl. Baum/Kron, Von Gärtnern und Jägern – Macht und Herrschaft im Denken Zygmunt Baumans): Die flüssig-modernen Gesellschaften würden nicht nur aufgrund von verschleierten Herrschaftsbeziehungen zusammengehalten, sondern ebenfalls aufgrund gemeinsam geteilter Werte. Dementsprechend würden soziale Ordnungen moralische Gehalte zum Ausdruck bringen, die von den Akteuren intersubjektiv anerkannt werden würden. Die Autoren nennen als Korrektiv die Überlegungen von Hannah Arendt. Arendt hat Macht als gemeinsames Potential von Individuen begriffen, die Welt einzurichten und als Potential, eine als problematisch erfahrene soziale Ordnung zu ändern.
Ausblick
Um Handlungsmechanismen in der liquiden Gesellschaft zu begreifen, wird man nicht zuletzt auch auf Erfahrungen zum lateralen Führungsstil innerhalb von Organisationen zurückgreifen können.
Eine zentrale Frage für jedes Individuum innerhalb einer Organisation lautet in verflüssigten Gesellschaften daher: Wem stelle ich meine Ressourcen für welches Projekt zur Verfügung?
Abb.: Marion Schneider & Christoph Aistleitner/gemeinfrei und Mariusz Kubik/gemeinfrei
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